Tag 2 /Part 1
Früh am Morgen war ich der erste der aus dem Zelt kroch. Während es letzte Nacht fast gefroren hatte, komme ich mir in meinen Merinosachen und meinem Schlafsack nun vor wie in einer finnischen Dampfsauna. Die Sonne knallt erbarmungslos vom Himmel, direkt auf unser Zelt. Und das früh um 5!
Ich fackelte nicht lange und zog mir kurze Sachen an. Schnappte mir die Rute und dümpelte mit unserem Kahn über den kleinen See, während Vince noch schlief. In dem kaum knietiefen Wasser fing ich in etwa einer Stunde 6 kleinere Hechte auf meinen Softjerk. Geile Angelei, Bisse auf Sicht und das mit einer ungeheuren Aggressivität. Manche Hechte verlor ich im Drill kurz vorm Boot, bevor sie zwei Sekunden später nochmal auf den Köder knallten. Unglaublich wie die Kerle da oben drauf sind. Irgendwann wurde mein Kumpel im Zelt dann auch wach und wir gönnten uns erstmal eine dicke Portion Müsli mit Trockenfrüchten, Nüssen und Vollmilchpulver. Genau die richtige Mahlzeit für so eine Tour. Lange hielten wir uns nicht mehr an dem See auf, so dass wir unseren Weg hoch ins Gebirge fortsetzten. Krass was die Sonne hier für eine Kraft hat, wir hatten total vergessen wo wir uns überhaupt hier befinden.
Der Fluss war spiegelglatt, es ging deutlich schneller voran als den Tag davor. Immer wieder splittete sich der Fluss in einige kleine Nebenarme auf, welche häufig mit einem See verbunden waren. Die kleinen Einbuchtungen konnte man schnell übersehen, waren aber wie gemacht für unser Kanu. Kleine geheime Wege als direkter Weg zu unseren Traumspots. Zu flach für jedes Motorboot. Auf einer Sandbank direkt an einem dieser Zuflüsse entschieden wir uns zu baden. Es war echt super warm und man will ja auch nicht stinken. Da kann man das gute Wetter auch mal nutzen.
Das Bad war aber schnell vorbei. Das ganze fühlte sich eher an als würde man sich in ein angetautes Calippo legen und danach über ein Nagelbett laufen. War trotzdem super. Wir fuhren anschließend noch etwas flussauf und hoben uns ein paar Nebenarme für den Rückweg auf. Das große Massiv auf der linken Seite des Tals hatte schon lange meine Aufmerksamkeit gewonnen und auch Vince fand die Idee ganz cool mal da oben auf einem Berg zu stehen. Zumal die Hänge mit riesigen Schneefeldern und kleinen Wasserfällen geschmückt waren. Wir kannten die Bergsteigerei ja schon vom letzten Urlaub, da hatte uns das Gelände für den 700m Hügel schon ordentlich gefordert. In einer absolut mückenverseuchten Bucht strandeten wir unser Kanu visierten die mächtige Felswand vor uns an. Krasser Anstieg, hier und da ein Wasserfall, Baumgrenze, Gras, Geröll, Schnee. Wir überlegten noch ob wir vorher Mittag essen oder erst hoch gehen und uns das Mittag verdienen. Natürlich entschieden wir uns vor lauter sportlichem Ehrgeiz für Option Nummer zwei. In zwei Stunden wären wir ja sicher zurück. Uns so gings los, im Gepäck hatte ich nichts weiter als die Fleecejacke, eine halbe Tafel Schoki und die Wasserflasche. Vince nahm seine Flasche einfach in die Hand und band sich sein Hemd um die Hüfte. Jeder der schonmal sowas ähnliches gemacht hat, kann ahnen wo die Reise hin ging..
Vorweg: Vince und ich studieren beide Sport und sind definitiv keine Stubenhocker. Wir sind zwar nicht die Gebrüder Messner, aber ich würde uns schon eine ordentliche Kondi zusagen.
Die ersten zwei Kilometer schlängelten wir uns erstmal durch das Unterholz, bis wir den Gebirgsbach erreichten. War anstrengend, aber doch etwas besser zu laufen als beim letzten mal. In einem alten ausgetrockneten Flussbett kamen wir gut voran. Der Weg änderte sich aber irgendwann schlagartig als wir den Bach erreichten. Aus dem ebenen Anstieg wurde ein schroffer felsiger Untergrund mit großen Vorsprüngen, kleinen Felswänden und losen Steinen. Anfangs machte es noch richtig Spaß über die Felsen zu klettern, irgendwann wurde es aber echt richtig anstrengend, und da war der Wasserfall auf halber höhe des Berges noch nichtmal zu sehen. Jedenfalls hatten wir keine Probleme uns mit frischem Wasser zu versorgen. Nach einer gut 10m hohen senkrechten Felswand brauchten wir erstmal eine kleine Verschnaufpause. Unsere amateurhaften Boulderskills raubten doch einiges an Kraft und bereits jetzt war das irgendwie eine aussichtslose Sache. Nur mit einem Müsli im Bauch rennt man eben keine Berge hoch, schon gar nicht ohne Weg und erst recht nicht in Nordschweden. Naja, wir waren einmal hier und jetzt kam der Ehrgeiz. Irgendwann war die Baumgrenze erreicht, aus Büschen wurde Gras, aus Gras wurde Moos und aus Moos wurde Geröll. Und aus Geröll wurden richtig fiese große Steine mit super scharfkantigen Ecken. Es war echt ein Trauerspiel. 100m Weg, 3min Pause. Waden und Oberschenkel meldeten schon nach halber Strecke absoluten Notstand und so nutzten wir die Wegpausen doch recht reichlich um uns mal etwas Flüssigkeit und ein halbes Stück Schokolade zu gönnen. Aber da wollten wir hoch. Die Hände in den Schnee tauchen und Gletscherwasser trinken.
Ich hab schon einige körperliche Anstrengungen hinter mir, aber das war wirklich der absolute Killer. Wanderschuhe sind auch einfach keine Bergschuhe die einem in dem Gelände einen ungeschickten tritt verzeihen. Es war ein absoluter Ritt an der Grenze von Kondition und Konzentration als wir endlich das Schneefeld erreichten, unsere Hände in den Schnee tunkten und rum hampelten wie zwei Schimpansen die das erste mal in ihrem Leben Schnee sahen.
Aber hey, wir waren ja noch nicht oben. War noch ein ganzes Stück bis zum Gipfel den ich unbedingt erreichen wollte. Die Felsen wurden immer schlimmer, das geborstene Granit schnitt sich teilweise recht ordentlich in die Gummisohlen unserer Wanderschuhe. Die letzten Meter war noch einmal eine wirkliche Kletterei, aber unsere Kräfte waren wieder da, wir wollten da hoch, wir hatten einfach Bock drauf! Und dann wars auch so weit, wir genossen den besten Ausblick den man wohl haben kann. Das Tal mit dem Vistasälven unter uns, rechts die Seen die wir noch befahren werden und hinter uns eine riesige Geröllfläche und der Kebnekaise, der mit seiner Schneekuppe höher als alle anderen war. Aber dann irgendwie doch nicht so viel höher als wir gerade waren.
Wir verweilten noch etwa eine halbe Stunde, machten Bilder und freuten uns wie kleine Kinder unseren Berg erklommen zu haben. Da es im Süden ordentlich regnete und es auf dem Gipfel auch richtig kalt und windig war, beschlossen wir zügig wieder abzusteigen. Dabei war der Abstieg nicht unbedingt leichter als der Aufstieg, das Gehüpfe von Fels zu Fels verlangte einiges an Konzentration. Ein falscher Tritt und der Fuß ist gebrochen. Und hier oben kommt keine Hilfe. Unsere Handys hatten wir blöderweise am Kanu gelassen. Mit mächtig Respekt liefen wir den großen Geröllhang hinunter, immer wieder lösten sich große Steine, wir fielen auf den Hintern, stolperten, fingen uns ab. Alles ok. Bergab machten wir mindestens genau so viele Pausen. Der Körper verlangt nach Brennstoff, die Tafel Schokolade war schon lange leer und der Abstieg würde auch noch lange dauern. Allerdings konnten wir nun das Tal des Vistasälven in seiner vollen Pracht sehen.
Zum Glück kam irgendwann das Moos und Gras wieder, auf dem wir so viel schneller voran kamen. Der Hang wurde noch einmal richtig steil, bestimmt 50 Grad Gefälle. Das langsame Absteigen tat irgendwann mächtig an den Füßen weh, und so rannten wir den Hang irgendwann einfach im ZickZack runter. Das hat Spaß gemacht und schnell kamen wir so auch voran. Irgendwann waren wir dann unten, fix und alle. 6 Stunden hatte unsere Tour gedauert. 1400 Höhenmeter. That's life!