Fangberichte Back to the roots am Point in Mozambique


Ende letzten Jahres suchte ich zusammen mit dem “Tiger”, der hier auf “Barsch-Alarm” ja schon den ein oder anderen Angelbericht verfasst hat, die Küste von Mozambique heim. Wir hatten schon vor Ort vereinbart, dass wir jeder jeweils getrennt einen Bericht über die vor uns liegende Woche in Mozambique verfassen wollten. Als sportlichen “Zusatzanreiz” setzten wir uns noch die Selbstvorgabe, dass jeder versuchen muss, in der Geschichte möglichst oft die Worte “rostiger Angelhaken” unterzubringen. Der Verlierer soll ein Angelwochenende für den Gewinner ausrichten. Aber jetzt wo ich hier so sitze, finde ich das ziemlich hart, zumal es für mich der erste Bericht für Barschalarm werden soll. Besser wird es sein, wenn ich mich schon mal nach einem “freien Wochenende” umschaue.

Die Hütte die wir in Mocambique gemietet hatten, lag einsam und verlassen am Ende einer schmalen Landzuge. Diese hatte sich gleich einem natürlichen Steg über 20 km in das Meer hineingearbeitet. Feinster Puderzuckersand formte sich auf ihr zu bizarren Dünenlandschaften und lieferte vor unserer Hütte einen beeindruckenden Kontrast zu dem weiten Himmel und den Blautönen des Meeres. Aber auch diese paradiesische Hülle, welche man so auch auf vielen Titelblättern diverser Reisekataloge sehen kann, hatte natürlich ihren (rostigen) Haken.

Uns wurde mitgeteilt, dass man zur Spitze der Landzunge nur gelangt, wenn man sich mit seinem Jeep bei Ebbe über den schmalen Strand der Landzunge wagt. Man müsse dabei allerdings immer wieder mit weichen Stellen im Sand rechnen, in denen man leicht versacken kann. Gelänge es einem im Falle des Versackens nicht, sich innerhalb von 3 Stunden wieder rauszuwühlen, dann kämen die Fische unter Umständen sogar bis ans Armaturenbrett rangeschwommen. Es empfiehlt sich in einem solchen Fall unbedingt, den Wagen auszuräumen, die Nummernschilder abzuschrauben und rechtzeitig noch ein Abschiedsphoto von der Karosserie zu schießen. 

Trotz aller Panikmache und Warnungen versanken wir nicht und erreichten gegen Abend wohlbehalten unsere Hütte. Gleich nach dem Auspacken legten wir uns unter unsere Moskitonetze, um für den nächsten Morgen ausgeruht zu sein.  Und wie wir dort lagen, erinnerte ich mich plötzlich daran, wie ich als Knirps mit meiner Stippe fast jeden freien Tag an den Stadtfluss zog, um Plötzen zu angeln. Der “Tiger” war damals auch schon dabei (nur nannte er sich damals noch anders). Meine Angelhaken waren fast immer rostig, eine Mutter diente als Gewicht und die Regenwürmer waren stets selbstgebuddelt. Schon damals hatten wir darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn jetzt ein richtig großer Fisch anbeißen würde. Ein Hai vielleicht….

Viele Plötzen später haben wir dann zwar begriffen, dass Haie in mitteleuropäischen Stadtflüssen sehr, sehr selten und demzufolge auch entsprechend schwer zu beangeln sind, doch haben wir unseren Traum von dem einen ganz großen Fisch wohl nie so richtig aufgeben können. Vielleicht war es der Gedankte an “unseren Fisch“, der uns all die Jahre über bei der Stange gehalten hat.  

Direkt vor unserer Hütte rumorte die Brandung des indischen Ozeans. Jede einzelne Welle schien zu verkünden, dass unter ihnen auch die “ganz großen Fische“ schwammen. Wie sollte ich angesichts dieser Verheißung ruhig unter meinem Moskitonetz liegen? Der Tiger hatte offensichtlich auch Einschlafprobleme. Schon seit Minuten hörte ich irgendetwas knipsen. “Was machst du da für Schweinerei? … Bist du noch wach?” fragte ich ihn.

“Jau…, warte ich hab’s gleich…. so…. Ich hab’ nur mal eben neue Drillinge an meine Blinker gemacht. Besser ist besser”, antwortete er unschuldig.

Das konnte ihm so passen. Sofort sprang ich auf, öffnete meinen Köderkasten und holte nun meinerseits die Meerforellenblinker und die Drillinge raus. Er wiederum griff eine Rolle Draht und begann Vorfächer zu klemmen.

Das Ende vom Lied: An Schlaf war nicht zu denken. Wir wechselten Schnüre, klempten Vorfächer und wetzten die Haken bis spät in die Nacht. Dabei stellten wir dann irgendwann fest, dass in dieser lauen Nacht ein Bier genau das richtige wäre….

Dann beschlossen wir, dass man auf einem Bein nicht stehen kann… schließlich noch ein letztes… ein allerletztes …usw.  Die Nacht zog sich in die Länge und am Ende wärmten wir sogar noch die ein oder andere alte Plötzengeschichte von damals wieder auf.  

Bei Anbruch des nächsten Morgens betraten wir mit einem Kater im Nacken und mit unseren Angeln in der Hand den feinen Sand des Strandes. Wir waren fest entschlossen, diesen nicht eher zu verlassen, als bis die Sonne in unserem Rücken untergehen würde. Von unserer Tür aus, waren es noch ca. 2 km Fußmarsch bis zum “Point”. Ich zwang mich förmlich dazu, vorm “Tiger” eine ruhige Erscheinung abzugeben, dabei spürte ich es vor Spannung schon förmlich in mir brodeln.

Aber “Junge” sagte ich zu mir, “bleib’ ruhig, Angeln ist ein ruhiges Hobby – da darf man nicht in Hektik verfallen.” Ich bemerkte, dass Tiger stets einen Schritt vor mir ging und dabei mit wirrem Blick die Wasseroberfläche absuchte. Ich beschleunigte daher, um aufzuschließen – Tiger beschleunigte seinerseits – ich verfiel in einen leichten Trab – Tiger begann zu laufen.

“Das wollen wir doch mal sehen…” rief ich ihm zu und sprintete los in Richtung “Point”. Wie die Bescheuerten rannten wir nun gemeinsam über den Strand. Keine Sekunde sollte verpasst werden.

Plötzlich bremste Tiger abrupt ab. Hektisch blickte er aufs Meer und tastete mit zitternden Händen nach seinem Meerforellenblinker. Ich kannte diesen Blick… er verhieß nichts Gutes. Und tatsächlich – jetzt sah ich es auch. Auf der Wasseroberfläche spritzten in bester Wurfweite zahlreiche Kleinfische auseinander. “Na’, das läuft ja mit Ansagen hier” sagte ich und hakte ebenfalls meinen 30 Gramm Meerforellenblinker aus den Rutenringen. Zeitgleich trafen unsere Köder ins Wasser.

Das Duell konnte beginnen.

Ich fasste meinen Korkgriff etwas fester, denn jetzt rechnete ich tatsächlich mit allem und jedem. Hatte ich die Drillbremse richtig eingestellt? Reichten die 10 Kilo Tragkraft meiner Monofilen aus? Was für ein Fisch lauerte da unten? War’ es ein Einzelgänger oder gar ein Schwarm? ….. Baracudas?, ….so dicht am Ufer?

Wir sollten es an diesem Vormittag nicht erfahren. Alle unsere Würfe blieben unbeantwortet. Von dem ersehnten großen Fisch fehlte jede Spur. Erst am Nachmittag löste sich das Rätsel der auseinanderspritzenden Fischschwärme auf. Eine Art “Hornhecht” war die Ursache. Wir sahen die ca. 50cm langen Gesellen, als sie das ein ums andere Mal hinter unseren Blinkern hinterher geschwommen kamen. Diese Dinger kannten wir aber schon von zu Hause. Wegen ihnen waren wir nicht gekommen.

Ich begann an unserem gesamten Vorhaben zu zweifeln, zumal es unwahrscheinlich war, dass sich die ganz großen Burschen auf unsere Köder stürzen würden, wenn sich selbst die sonst so kritiklosen Hornhechte davon nicht beeindrucken ließen. Ein “Plan B” musste her. Aber woher nehmen?

Wenn es nur allein ums Angeln gegangen wäre, so wäre das noch die eine Sache gewesen. Die schlechten Fangaussichten stellten uns jedoch vor ein ganz anderes und viel größeres Problem. Wir hatten nicht genug zum Essen mitgenommen. Fürs Frühstück war nur Müsli und Milch vorgesehen und für das Abendbrot sollten die paar Kartoffeln, die wir zuvor eingekauft hatten, mit reichlich selbstgefangenem Fisch angereichert werden. Der Plan vom selbstgefangenen Fisch begann jedoch wie gesagt nun langsam zu bröckeln.

Das eigentliche Problem dabei war aber, dass wir nicht eben mal in die nächste Stadt hätten reinfahren können, um Nachschub zu holen, denn unser Sprit reichte nur noch für einen Weg (Sprit gab’ es zu Zeit keinen und die Tankstellen hatten erst für das Ende der Woche Nachschub gemeldet). Wir saßen in jeder Hinsicht auf dem Trockenen.

Am späten Nachmittag setzten Tiger und ich uns dann zum Krisengespräch zusammen. “Hunger macht böse”, da waren wir uns schnell einig. Als Ergebnis der Krisensitzung wurde daher beschlossen und verkündet:

1. Der Traum vom großen Fisch wird vorerst vertagt.
2. Keine Experimente
3. Heute Abend gibt es gebratenen Hornhecht.

Um Punkt 2 und 3 zu erfüllen, wurden die Meerforellenblinker jetzt etwas kleiner gewählt und mit einem Zusatzhaken versehen. Auf ein Vorfach verzichteten wir ganz, da wir mit größeren Räuber nicht mehr rechneten. Der Lohn des Ganzen bestand bei Sonnenuntergang aus zwei mickrigen Hornhechten. Aber besser die, als Kartoffeln pur.

Zurück in der Hütte stellten wir bei einer hektischen Inventur unserer Vorräte fest, dass nicht nur die Essenvorräte knapp bemessen waren, sondern dass auch die Biervorräte gestern Nacht erheblich gelitten hatten. Kein Fisch und kein Bier, dafür aber reichlich Müsli…. Wir sahen gewaltige Probleme auf uns zurollen.

Zurück unter meinem Moskitonetz legte ich mir für den nächsten Tag eine neue Taktik zurecht. Wenn sie den Blinker nicht wollten, so dachte ich mir, dann muss ein Köderfisch her. Diesen sah’ ich in Gestalt eines dieser verdammten Hornhechte schon deutlich vor meinem geistigen Auge vorbeischwimmen. Mein neu gefasster Plan sah es nun vor, dass wir den Vormittag über ein paar Hornhechte fangen würden, um mit diesen dann am Nachmittag die ganz Grossen zu locken. Ein natürlicher Köder konnte dabei nicht falsch sein. Egal wie clever die großen Fische auch sein mochten, von irgendwas mussten sie ja leben – und genau das wollte ihnen nun auch servieren.

Am nächsten Morgen gingen wir zwar hungrig, aber dafür umso motivierter ans Werk. Ich bin kein großer Freund von Müsli und war daher fest entschlossen, das Essenproblem für den Rest der Woche zu lösen. Mit vereinten Kräften begannen wir damit, unsere Hornhechtblinker durch das Wasser zu leiern – doch ohne Ergebnis. Nicht ein einziger Hornhecht. Selbst die Nachläufer blieben an diesem Vormittag aus! Somit fanden der Tiger und ich uns schon am frühen Nachmittag wieder zum Krisengespräch zusammen.

Angesichts des Umstandes, dass sich nicht mal mehr die Hornhechte für unsere Köder interessierten, verloren wir auch das letzte bisschen Mut, dass uns bis dahin noch verblieben war. Wir saßen ratlos rum und durchwühlten unsere Köderkisten auf der Suche nach einer Inspiration. Doch während wir so vor uns hingrübelten, nährten sich zwei kleine einheimische Jungs mit ihrer einfachen Angel.

Als ich sie erblickte, glaubte ich mit einem Mal die Rettung persönlich vor mir zu sehen. Unser Problem ließ sich vereinfacht so beschreiben, dass wir zwar bis an die Zähne mit Angelzeugs bewaffnet waren, jedoch die hiesigen Spielregeln nicht kannten. Die Ausrüstung der Jungs war im Vergleich zu unserem Zeug zwar äußerst spärlich, dafür hatten sie wahrscheinlich den Schlüssel zu den Fischen.

“Ich frag’ die beiden jetzt Mal nach dem Sesam-öffne-Dich.” sagte ich zum Tiger und ging auf die beiden zu, um ihnen das Geheimnis zu entlocken. In Mozambique spricht man Portugiesisch, wusste ich, daher versuchte ich es zur Begrüßung mit einem spanischen “Hola“. Ich kann zwar kein Portugiesisch doch vermutete ich, dass die Sprachverwandschaft zum Spanischen den Rest erledigen würde. Doch schon wieder lag ich verkehrt, denn die beiden Jungs sahen sich nur fragend an und gaben keinen Ton von sich.

 “Scheisse” dachte ich “wie soll’ ich jetzt nach Angeltricks fragen, wenn sie die Begrüßung schon nicht verstanden haben?” Ich warf einen letzten Rettungsanker und versuchte es mit der internationalen Anglersprache.

Die Konversation lief wie folgt ab:

Ich: Heftiges Fuchteln mit der Angel Richtung Wasser in Kombination mit fragendem Gesichtsausdruck und zuckenden Schultern. (Angelsprache = sacht’ mal Jungs, gibt es hier Fisch?)
Sie: Beide lachten verständnisvoll und nickten. (Anglersprache= Was’n das für’ne Frage? Hat der Haifisch Zähne oder was…?)
Ich: Ausbreiten meiner Arme soweit ich konnte und wieder heftiges Schulterzucken. (Angelsprache= und ist auch der ein oder andere Große dabei?)
Sie:  Beide stellten das Lachen ein und nickten völlig synchron. (Anglersprache=  Worauf du einen lassen kannst….!!!!)
Ich: Griff in meine Köderkiste und Zeigen eines Meerforellenblinker’s (Angelsprache= was hälst du von dem hier…?)
Sie: Beide schauten skeptisch und zuckten jetzt ihrerseits mit den Schultern. (Angelsprache=  Was’n das für’n witziges Teil?)

Jetzt holte ich meine komplette Köderkiste raus und hielt sie ihnen vor. Beide warfen sich einen kurzen Blick zu. Wie auf Kommando ließen sie ihre Angel fallen und begannen mit großen Augen in meiner Kiste zu wühlen. Jeden einzelnen Köder nahmen sie prüfend in die Hand und wogen ihn unter skeptischem Gemurmel. Den einen oder anderen Köder bedachten sie mit einem Kommentar, der offenbar ihre Anerkennung zum Ausdruck bringen sollte.

Man konnte das Staunen in ihren Augen förmlich lesen. Angesichts dieser Reaktionen hätte ich mich selber ohrfeigen können, dass ich ihnen den Köderkasten überhaupt gezeigt hatte. Die beiden Jungs waren augenscheinlich Söhne von Fischern, die in Mozambique in Armut am Strand leben. Und ich kreuzte hier einfach auf und spielte gleich nach 2 Minuten das reiche Arschloch mit der prallen Köderkiste. Was für einen Eindruck hatte ich hinterlassen?

Gern hätte ich den Beiden jetzt gesagt, dass der ganze Müll in der Kiste für uns gerade völlig wertlos ist, da wir die “Spielregeln” am Gewässer nicht kennen, und dass man genauso gut mit einem “rostigen Angelhaken” und einer Mutter als Gewicht angeln gehen kann. Der Spaß am Angeln ist der Selbe, ob nun mit einem “rostigen Angelhaken” oder einem überteuerten hochglanzpolierten Teil.

Mein Köderkasten jedoch sprach in diesem Moment eine ganz andere Sprache. Und ein internationales Wort aus dieser Sprache lautete offenbar “Rappalla”. Denn das war das erste Wort der Beiden, das auch ich verstand, als sie einen der finnischen Wobbler mit leuchtenden Augen aus der Kiste zogen. Mit einer Hand führten sie diesen in einer  wackelnden und taumelnden Bewegungen durch die Luft, und mit der anderen Hand imitierten sie einen wahlweise von hinten, oben oder unten angreifenden Raubfisch. 

“Na prima” dachte ich, “Der Ruhm des Wobblers ist offenbar von Finnland bis auf die entlegendste Landspitze in Mozambique vorgedrungen.”

Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass es angesichts der Begeisterung der Beiden für meine pralle Köderkiste, von nun an wohl besser wäre, wenn ich ein wachsames Auge auf die Jungs haben würde.

Klar weiß ich wie doof solche Gedanken sind, aber ich konnte einfach nicht anders. Zwei Welten prallten aufeinander, die voneinander nichts wussten. Wahrscheinlich beäugten sie mich genau so skeptisch. Die Falle des Misstrauens und der daraus resultierenden Vorurteile klappte über mir zusammen, ohne dass ich mich wehren konnte .

Thomas, so hieß der eine von den Beiden, legte ungeachtet meiner miesen Gedanken den Wobbler wieder zurück in den Kasten. “Naja“, dachte ich, “vielleicht wartet er nur auf einen besseren Zeitpunkt“. 

Er deutete auf meine Angel und sagte ruhig und bestimmt: “Louhla”

Ich zuckte mit den Achseln, denn von “Louhla” als Rutenmarke hatte ich noch nichts gehört. Thomas griff in seinen Köderkasten, was in diesem Fall eine löchrige Hosentasche war und zog ein Stück Tintenfisch heraus. “Louhla” wiederholte er und diesmal hatte auch ich verstanden.

Thomas, der offensichtlich genervt von meinem begriffsstutzigen Verhalten war, sortierte aus meinem Köderkasten einen winzigen Einzelhaken aus und drückte mir diesen zusammen mit dem Tintenfisch in die Hand. Er gab’ mir zu verstehen, dass wir noch ein Gewicht benötigten. Ich drückte mein Bedauern aus, denn leider konnte ich damit beim besten Willen nicht dienen. Ich hatte zwar zentnerweise Zeugs aus Deutschland mitgebracht, doch an ein einfache Packung Schrotblei hatte ich nicht gedacht.

Thomas lachte, griff ein weiteres Mal in seine Hosentasche und holte eine alte rostige Mutter hervor. Ich musste grinsen, denn ich erkannte natürlich sofort, worauf das Ganze jetzt hinauslief. Gerade gestern Nacht hatte ich doch noch daran gedacht, wie alles bei uns damals angefangen hatte. Und nun stand dieser Junge mit einer alten rostigen Mutter vor mir und forderte mich auf, diese in den indischen Ozean zu schmeißen, um damit den lang erträumten ganz großen Fisch zu fangen. Meine teure Spinnrute sollte nun, ohne das ich es bedauerte, innerhalb weniger Augenblicke eine rasante Reise in die Vergangenheit erleben. Und auch ich war dabei, zu den Ursprüngen zurückzukehren.

Thomas deutete auf eine Stelle im Meer, die nur ungefähr 3 Meter vom Ufer entfernt lag. Hier, genau vor meinen Füssen sollten die Fische schwimmen? Thomas musste meinen skeptischen Blick wohl bemerkt haben, denn er wurde nun auf einmal ganz aufgeregt und erzählte mir mit seinen fuchtelnden Händen einen ganzen Roman in reinster Angelsprache. Seinen ausführlichen Beschreibungen entnahm ich, dass die Fische, die hinter der Uferkante lauerten, mindestens so groß waren, wie er mit seinen Armen zeigen konnte. Sie partroulierten angeblich direkt am Ufer auf und ab, um Krabben und kleinere Fische zu fangen. Ganz glauben konnte ich ihm das nicht, denn wenn die Größenangaben stimmten, dann hätte man die Fische bereits an herausragenden Rückflossen erkennen müssen. Außerdem wusste ich aus eigener Erfahrung, dass angelnde Kinder Mühe haben zwischen realen Fischen und Wunschträumen zu unterscheiden.

Versuchen konnte ich es aber dennoch. Also setzte ich den Köder 3 Meter vom Ufer ab, und prompt, keine 10 Sekunden später, spürte ich ein kurzes schnelles Zucken an meiner Rute – zupp – zupp.

“Wow“, dachte ich, “das ging schnell“. Es war zwar nur ein kleines Riffbärschchen von der Größe meines Handtellers, und damit keineswegs einer von den Fischen, von denen Thomas gesprochen hatte, doch spielte das für mich keine Rolle. Ich spürte, dass ich die erste Tür zum Erfolg aufgestoßen hatte. Jeder kleine Fisch war von nun an Teil meiner begonnen Entdeckungsreise in die Vergangenheiten.

Ich überließ dem “Tiger” den gefangenen Riffbarsch als Köderfisch und angelte mit der Mutter und dem “rostigen Angelhaken” weiter. Wenn wir genug Riffbarsche fangen würden, so dachte ich mir, dann wäre das Abendbrot auch gesichert. Ich wartete und wartete, doch nichts passierte. Ich hielt dabei die Rute ganz locker zwischen Daumen und Zeigefinger, um ja auch keinen Biss auszulassen. Verwöhnt durch den frühen Erfolg, wurde ich schon nach einer halben Minute ungeduldig. Warum rührte sich nichts mehr?

Die Antwort kam prompt und ohne Vorwarnung. Ein gewaltiger Schlag fuhr in meine Rute, so heftig, dass diese mir dabei beinahe aus der Hand gerutscht wäre. “Was war das?” schoss es mir durch den Kopf. Doch ehe ich eine Antwort finden konnte, spürte ich wie einen ICE am anderen Ende meiner Angel stetig an Geschwindigkeit aufnahm und zusammen mit meinem Köder das Riff in Richtung offenes Meer verließ. Die Angel bog sich durch….. bog sich noch mehr durch…. und dann…. war er weg.

Ich atmete tief durch. Wer immer der Fahrer des ICE gewesen war, er hatte gut gefrühstückt. Zu allem Überfluss hatte er bei dieser Gelegenheit auch gleich meinen “rostigen Angelhaken” mitgenommen.

Thomas lachte über seine gesamte Zahnreihe, klatschte wie wild in die Hände und blickte mich mit weit aufgerissenen Augen herausfordernd an. (Angelsprache= Siehst’e, hab’ ich Dir doch gleich gesagt.)

Das Ganze traf mich so unvorbereitet, dass ich gar nichts sagen konnte. Ich rannte zum “Tiger” der ein Stück weiter oben angelte, bremste ab…., kehrte um und setzte mich erst mal wieder hin um mich zu beruhigen. Jetzt nur nichts überstürzen. Der “Tiger” sollte noch früh genug von meinem Erfolg erfahren. Erst mal sollte es eine Sache zwischen mir und dem großen Unbekannten bleiben, der dort unten lauerte.

Bevor ich jedoch ein zweites Duell wagte, hatte ich damit zu tun, gegen das in mir hochschießende Adrenalin anzukämpfen. Wie gelähmt und mit offenem Mund saß ich da und umkrampfte den Griff meiner Angel. Dabei betrachtete ich das Ende der glatt durchtrennten Schnur und schüttelte immer wieder den Kopf. In Gedanken hatte ich mich doch bereits auf kleine niedlichen Riffbarsche eingestellt, und nun …? Es herrschten eben doch andere Spielregeln als beim Plötzenfischen zu Hause.

Aber Rache ist süß. Jetzt wurde aufgerüstet! Ein Stahlvorfach musste her. Davon hatte ich reichlich. Die kleinen “rostigen Angelhaken“, von denen mir Thomas jetzt wieder ein Exemplar reichte, konnte man angesichts dieser Fische komplett vergessen. Wie sollte man die am Stahlvorfach festkriegen? Bei den Fischen die dort unten lauerten, waren die doch offensichtlich völlig unterdimensioniert. Um dem großen Unbekannten eine Lektion zu erteilen und unser Abendbrot zu sichern, wählte ich daher die stattlichen Hechthaken. Thomas blickte angesichts meiner neuen Idee etwas skeptisch.

Selbe Stelle – neuer Versuch – doch Vergebens. Nichts rührte sich! Es schien mir bald so, als spürte der große Unbekannte, dass er diesmal nicht so ein leichtes Spiel haben würde. Auch nach Stunden blieb der heiß ersehnte Biss aus. Statt dessen lutschten mir die Riffbarsche (oder wer auch immer da unten rumschwamm) ein ums andere Mal den Haken blank.

Tiger kam und bat mich darum, dass ich ihm einen neuen Köderfisch fing. Ich dachte: “Sonnenstich? – Der Alte hatte sie doch nicht mehr alle…. Köderfische? …sonst noch was?”. Das sagte ich ihm natürlich nicht so deutlich, sondern erklärte ihm diplomatisch, dass ich mir hier die allergrößte Mühe geben würde, doch die Biester wollten einfach nicht so recht…. So verging der Tag und ich verfütterte fast einen ganzen Tintenfischarm an die Fische.

Thomas harte hartnäckig an meiner Seite aus.

Gegen Abend dann ein lautes fluchendes Aufstöhnen vom Tiger. Das Stöhnen konnte man trotz der Brandung über den ganzen “Point” hören. Es ähnelte in seinem Klang ungefähr dem vorwurfsvollen Aufstöhnen von Fußballfans, die einen von ihrer Mannschaft in der 90sten Minute vergebene Torchance beklagen.

Für mich war das Ächzen des Tiger’s ein untrügliches Zeichen dafür, dass er soeben einen kapitalen Biss in Eigenregie versemmelt hatte. Und dieser Biss war es auch, der mich daran erinnerte, dass wir noch nichts zum Abendbrot hatten. 

“Besser kleine Riffbarsche als gar keinen Fisch“, beschloss ich. Und so kehrte ich reumütig zu den kleinen Haken zurück. Kaum hatte ich einen solchen wieder an der Schnur, ging es mit den Bissen genau an der Stelle weiter, wo es kurz vor dem Hakenwechsel aufgehört hatte. Innerhalb kürzester Zeit stand es zwischen mir und dem großen Unbekannten 2:2. (Ich hatte zwei Riffbarsche und der große Unbekannte hatte zwei Haken erbeutet).

Zwar war es für mich jedes Mal spannend, wenn dieser gewaltige Biss mir die Haken von der Schnur fetzte, doch war das auf Dauer ja kein Zustand…! Ich entschloss mich daher, ein kurzes Stück starker monofiler Schnur  zwischen die Hauptschnur und den kleinen Haken zu binden (ist gar nicht so leicht wie es sich anhört). Es sollte so etwas wie ein “Kompromissvorfach” werden. 

Thomas war begeistert von meiner Eingebung, kniff ein Auge zusammen und zeigte mir mit seiner rechten Hand den Daumen. (Angelsprache= Alter, ich dacht’ schon, du raffst es gar nicht mehr, aber du bist ja gar nicht so blöd wie du tust).

Ich warf erneut aus, und schon Sekunden später meldete sich das vertraute Zupfen am anderen Ende der Leitung: ZUPP ZUPP ZUPP  – ZUPP – ZUPP –
– ZUPP !!!

Da war er wieder!!! Anzuschlagen erübrigte sich, denn die einsetzende rasante Flucht machte mir überdeutlich, dass mein Gegenüber die Herausforderung angenommen hatte. Meine Rutenspitze bog sich wie schon zuvor unter der Last weit durch. Ich hoffte dabei inständig, dass der gewaltige Biss nicht wieder in einem Hakenverlust enden würde. Von Anfang an offenbarte sich ein himmelweiter Unterschied zu den Hornhechten vom Vortag. Die Taktik meines Gegners schien sich darauf zu beschränken, immer wieder und mit aller Kraft in die Tiefe zu flüchten. Bei den meisten dieser Fluchten musste ich ihn allerdings einfach ziehen lassen, denn er war kaum zu bremsen. Binnen weniger Augenblicke hatte er sich einen respektablen Abstand zum Ufer erarbeitet. Geschickt nutzte er dabei den Sog der zurückfließenden Brandung für seine Zwecke aus. Meter um Meter flogen von der Spule. Ich denke nicht, dass meine Spinangel so etwas zuvor schon mal erlebt hatte. Immer dann wenn die Wellen gegen das Ufer drückten, gelang es mir ein paar Meter wieder gut zu machen. Mit dem Rückstrom der Welle jedoch, holte sich der Fisch die doppelte Menge wieder zurück.

10 Meter er, …. dann wieder 5 Meter ich, ….dann 10 Meter er.

 Nachdem sich dieses Spiel ein paar Mal wiederholt hatte, lies die Kraft meines Gegenübers etwas nach. Mit jeder neuen einlaufenden Welle kurbelte ich ihn unter den Anfeuerungsrufen von Thomas etwas dichter.

Auf diese Weise gelang es mir schließlich, den Fisch über die Kante in den unmittelbaren Bereich des Ufer’s zu bringen. Dieser Bereich des Ufer’s ist jedoch mit Ästen und Baumstümpfen reich gesegnet und genau zwischen diesem spitzen Gehölz suchte der Fisch seine letzte Chance.

Und eine reelle Chance hatte der Fisch durchaus. Mit unglaublicher Geschwindigkeit schoss er im Slalom zwischen den Ästen hin und her. Während der Fisch spritzend seine Spur durch die Äste pflügte, erkannte ich, dass dieser offensichtlich sehr viel kleiner war, als ich anfangs vermutet hatte. Er war zwar nicht viel größer als mein Unterarm, doch seine Energie reichte für drei von der Sorte. Ich gab alles daran, dass sich unser potentielles Abendbrot nicht wieder vorschnell verabschiedete. Im Slalomkurs folgte ich dem sportlichen Winzling zwischen die Äste.

Kaum hatte ich den Fisch auf den Trockenen, spürte ich den Stolz eines Robinson Crusoe in mir.

Tiger und ich packten sofort zusammen und rannten mit dem Fisch zurück zur Hütte, damit sich der Fisch auf dem Herd schon mal mit den Kartoffeln anfreunden konnte.

Der Rest der Woche verging wie im Flug. Ich fing’ jeden Tag auf ganz entspannte Weise meine Fische. Jeden Zweiten meiner gefangenen Fische gab’ ich dabei Thomas, der mich weiterhin mit Tintenfischresten versorgte. Die Riesen waren zwar nicht dabei, doch spielte das in meinen Augen keine Rolle. Die 4-5 Kilo schweren Fische gaben einen derartigen Rock‘n Roll, dass ich die Woche über voll ausgelastet war.

Ach ja, Ich muss noch etwas nachtragen. Wie es der Zufall wollte, vergaß ich an jenem Abend in der Aufregung meine komplette Köderbox am Strand (Dramen spielten sich ab!!!!). Als wir am nächsten Morgen jedoch wieder an unseren Angelplatz kamen, fanden wir die Köderbox so vor, wie ich sie am Abend liegen gelassen hatte. Speerangelweit offen, – gewohnt unaufgeräumt – und komplett! Selbst von den hier so wertvollen “rostigen Angelhaken” fehlte keiner.

Snapper

M
Crazy Story ! RESPEKT ! :) ;)
Aber wer hat die Bilder so hart komprimiert :?: :twisted:
A
sehr, sehr schön geschrieben. bitte mehr! (und dann mit bildern, die solchem text würdig sind!)
F
Suuuuuper geile Storry! Bitte die Bilder noch mal in scharf :D
M
Geile Geschichte, Mann !
Vor allem, wenn man bedenkt, wie crazy man sein muss, um in Afrika ne Woche inner Hütte ohne allet zu verweilen, nur um zu angeln, aobgleich man keene Ahnung hat, wie... 8)

Naja, das Dilemma mit den Bildern siehste ja selber. :oops:

Aber sonst: RÜSPEKT !

Manne
I
  • I
    Ink
  • 14.03.2006
packender Erlebnisbericht! Klasse geschrieben :D
L
sehr geil :D
man und unsereins wartet darauf, dass das eis langsam schmilzt.. cool, dass ihr die aktion wahrgenommen habt :D :D :D
O
Ganz geil geschrieben! respekt! :D
aber kann nicht mal einer die bilder nochmal vernünftig reinstellen?? :roll:

Olli
D
an alle, die die bilder hier so schlimm finden: ihr müsst versuchen, mit der qualität frieden zu schließen. da wird sich nix ändern. bei den kunstbildern handelt sich um scans von dias, die ein fotolabor so angefertigt hat. ist also weder die schuld des fotografen, noch meines bildbearbeitungsprogrammes.
A
?????????????????? scans von einem fotolabor????????????????????

dafür habt ihr doch hoffentlich nix bezahlt?!? denn da hat jemand offensichtlich überhaupt & gar keine ahnung gehabt! :roll:
angebot: schickt mir die dias & ich scan sie euch so, dass ihr sie bis DIN A0 drucken könnt! natürlich für lau, der bericht hätte es verdient.

... tss, kann's einfach nicht glauben!
G
wow! die große 'pic-deluxe' behandlung von angeliter für umme! :lol:
das hätte der diese super story wahrhaftig verdient! :D
G
sehr geile story!
haste zum abschied wenigsten kinderträume wahrwerden lassen und dem thomas nen rapala dagelassen? :D
F
Ich bin ja very beeindruckt. Sowas würde mich ja mal mächtig reizen. So einfach ins blaue angeln - mit ohne Ahnung wies geht. Und dann noch an diesem Landstrich.

Wie kommt man denn an sowas ran?

Ansonsten Hut ab für den erstklassigen Bericht.

Liest sich wie ein Buch.....
S
Nich so ganz einfach,
der Point lässt sich von hier aus nicht im Katalog buchen. Wir hatten das Glück, dass der Bruder vom "tiger" dort unten lebt und für uns den Trip komplett organisiert hat. Man kann es auch auf eigene Faus versuchen, aber dann ist die Gefahr einer Bauchlandung am Ende noch um einiges Größer, als sie eh schon ist. Wenn du Interesse hast an den Point zu fahren, dann:

1. Der Point liegt bei Inhassoro (oder so ähnlich)
2. Es gibt Pauschalangebote für Vilancoulos, das liegt auch ganz in der Nähe. Alles (auch Big Game) ist super organisiert - dann aber auch nur noch halb so spannend
3. Weihnachten ist die Top Saison dort unten für Kingfish vom Ufer aus.
S
Ja, sorry, aber für die Digitalisierung habe ich auch noch wat bezahlt. Selber Schuld, - ich weiss. Hätte ich gewusst, dass der Gemeinde die Bilder so wichtig sind, dann hätte ich mich mehr gekümmert. Ich bin im Nachhinein selber enttäuscht über die Qualität und bitte allseit vielmals um Vergebung.
Deine Vermutung stimmt. Von dem Computerkram habe ich in der Tat keinen blassen Schimmer.
Danke für Dein Angebot die Bilder zu scannen. Aber ich scheue den Aufwand. Dat wird mir dann doch alles ein bisschen viel.
A
'Deine Vermutung stimmt. Von dem Computerkram habe ich in der Tat keinen blassen Schimmer.'

na, meinte doch nicht dich, snapper! meinte die leute, die die frechheit(!) besaßen, dir diese mehr oder weniger zufällige zusammenballung von pixeln als 'dienstleistung' zu verkaufen ... allerdings hinterlässt es mich einigermaßen fassungslos, dass du freiwillig dafür bezahlt zu haben scheinst!

ansonsten: kein problem, deine entscheidung! :wink:
T
hallo snapper,

das war wohl mit abstand der beste user-bericht, den ich seit langem hier auf BA gelesen habe :!: ein fest :!:

um 8.30 uhr hier im büro zu sitzen mit der gewissheit, dass der tag lang wird bei 0 grad (heute scheint wenigstens mal die sonne) und der anderen gewissheit, dass 28 cm eis noch eine weile dauern um abzuschmelzen, wo man doch am 19.12.05 das letzte mal angeln war - schlechter kann es einem bald nicht mehr gehen... nun fühle ich mich wieder frisch. :D

danke für das tolle erlebnis !!! ich habe gut gelacht :D

was waren denn das für fische? wo her wusstet ihr eigentlich, dass man die essen kann?

also, gern mehr davon !
T