Wer kennt es nicht auch aus seinen Kindertagen, jenes aufregende Gefühl mit dem Finger auf der Landkarte „zu verreisen“?!
Die Phantasie trägt dabei Bilder ferner und exotischer Orte in Deinen Kopf. Einige davon wirst Du im Verlauf Deines Lebens mit der Realität abgleichen, viele andere vergessen und wahrscheinlich nie erreichen.
Oft aber ist es genau ein Bild des vermeintlich ganz besonderen Ortes, zu dem Deine Gedanken immer und immer wieder magisch hingezogen werden!
Meine Tag- und Nachtträume gehörten viele Jahre einer kleinen, fast unscheinbaren Insel namens Lord Howe Island.
Warum ausgerechnet dieser Fleck unserer Erde, der sein Dasein auf einer Weltkarte eigentlich nur der Tatsache verdankt, dass die UNESCO ihn 1982 zum „World Heritage“ erklärte, lange Zeit durch meine Phantasien stürmte, liegt für Menschen, die mich näher kennen, sicherlich auf der Hand.
Mit dieser Insel vereinigte sich in meinen Träumen stets türkisblaues Wasser über schneeweißen Sandstränden, gesäumt von grünen Palmen über denen große Schwärme schreiender bunter Vögel kreisen. Im glasklaren Wasser tummeln sich tausende exotischer Fische zwischen großen Korallenstöcken, die nur darauf warten, nach meinen ausgelegten Angelködern zu schnappen!
Frei nach dem Motto „Träume nicht Dein Leben, sondern lebe Deinen Traum“ war er dann plötzlich da, der Tag an dem ich meine vielen Traumschablonen über ein reales Bild legen konnte!
Im Flugzeug von Sydney nach Lord Howe Island ging mir ein Lied von Nena nicht mehr aus dem Kopf – „Im Sturz durch Zeit und Raum, erwacht aus einem Traum ...“.
Für mein ganz persönliches Traumerwachen hatte ich mir in dem kleinen Flieger einen Fensterplatz auf der Steuerbordseite gesichert, weil man nur dort die Möglichkeit bekam, bei guter Sicht, bereits aus 50 Kilometern Entfernung die Überreste des ehemals riesigen Vulkanes, bestehend aus den Bergen Mount Lidgbird und Mount Gower sowie die solitär aus dem Meer hervorschießende Felsnadel mit dem Namen Ball’s Pyramid zu erblicken.
Die Sicht am Tag unserer Ankunft war nicht erstklassig, dennoch konnte ich das Ziel bereits viele Kilometer vor der Landung wie durch einen Nebelschleier sehen. Im Nachhinein muss ich feststellen, dass dieses etwas vernebelte Motiv viel besser zu meinen Fantasien passte und der Insel von Anfang an eine mystische Aura verlieh.
Obwohl die Geschichte der Kelten sich auf der anderen Seite der Erdkugel abspielte, fühlte ich mich beim ersten Anblick der im Dunstschleier aufragenden Felsmassive zurückversetzt in die Zeit der Artussage. Sind das die Nebel von Avalon? Wird mir Nimue, die Herrin vom See hier begegnen?
Mit jeder Minute in der ich der Insel näher komme, lichtet sich der Nebel und offenbart mir deutlich, dass dieser Platz im Südpazifik nur wenig mit der von Apfelbäumen gesäumten Zwischenwelt der keltischen Druiden gemeinsam hat.
Das dort vor mir ist die Realität, sie ist wunderschön und wird all meinen Phantasien gerecht!
Während des Landeanflugs prüfe ich dann gleich auch noch das nächste Detail – wo zur Hölle ist das türkisfarbene Wasser?
Aha schau an, das passt ja auch!
Wie auf Bestellung liegt dann noch ein weißes Segelboot vor Anker und macht, mal abgesehen vom Rotorblatt des Propellers, das Bild fast perfekt! Träume ich etwa noch?
Spätestens das abrupte Landemanöver unseres Flugkapitäns überzeugt mich vom Gegenteil!
Die einspurige Start- und Landebahn der Insel ist nur ca. 900 m lang und fordert die Bremsen unseres Flugzeugs voll. Entsprechend groß ist auch der Druck der Sicherheitsgurte auf die Beckenknochen. Autsch, erst einmal ausgeträumt!
Die kleine Dash 8Q-200 erreichte nach nicht einmal einer Minute ihre Parkposition und gab einen ersten Blick auf das „Flughafengebäude“ der Insel frei. Es steht in Deutschland sicher die eine oder andere Gartenlaube, in die dieses Häuschen locker hineinpassen würde.
„Klein, aber oho“ trifft buchstäblich auf alles zu, was sich auf Lord Howe Island so finden lässt. Die Inselbewohner halten ihr kleines Paradies super sauber und gepflegt. Hier kennt jeder jeden, alle grüßen sich freundlich, auch mehrfach am Tag.
Die Einheimischen geben dir das Gefühl, vom ersten Tag an Teil der kleinen Gemeinschaft zu sein. Lord Howe wird derzeit von etwa 350 Menschen bewohnt. Auflagen des australischen Staates zur Erhaltung der außergewöhnlichen Flora und Fauna verlangen, dass nie mehr Touristen als Einwohner auf der Insel sein dürfen.
Dieser selektive Umgang mit dem Tourismus schützt nicht nur die einheimische Tier- und Pflanzenwelt, er stellt gleichzeitig sicher, dass alles sehr familiär gehalten wird und andererseits dieses Urlaubsziel in finanzieller Hinsicht schon auch eine gewisse Exklusivität besitzt und so die materiellen Bedürfnisse der Einwohner weitestgehend befriedigt.
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