Finesse-Methoden Free-Rig: Vom Vertikal- zum Zuppel-Rig
Als ich mich vor ungefähr vier Jahren zum ersten Mal mit dem Free-Rig beschäftigt habe, war ich skeptisch. Sehr skeptisch. Was soll an der Montage, bei der man das Bullet-Weight gegen ein Stabblei austauscht, noch besser sein im Vergleich zu meinem geliebten Texas-Rig? Das sieht ja so dürftig aus. Ich konnte mir beim allerbesten Willen nicht vorstellen, dass es auch nur einen Grund geben könnte, der mich in dazu verleiten würde, auf dieses seltsam anmutende System zurückzugreifen. Denn während die einzelnen Komponenten beim Texas-Rig optisch eine Einheit bilden, fügen sich Stab, Perle und der Köder beim Free-Rig nicht so schön zusammen. Drei Jahre später würde ich wohl das Free-Rig wählen, wenn ich mich auf der sagenumwobenen einsamen Insel für eine der beiden Montagen entscheiden müsste. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Schwerpunktverlagerung – das Ursprungsargument
Die erste Annährung war theoretischer Natur. Auf amerikanischen Websites habe ich mir angelesen, dass das Rig speziell dazu erfunden wurde, Fische zu beangeln, die dicht an vertikalen Strukturen stehen. Also direkt auf der Wurzel überfluteter Bäume, im Winkel von Dalben, an Spundwänden, Brückenpfeilern und so weiter. Während das Texas-Rig vom patronenförmigen Gewicht beim Absinken leicht auf uns zu schwingt und sich dabei von der Struktur entfernt, wird der Köder vom Stabblei, dessen Öse frei auf dem Vorfach gleitet, annähernd vertikal nach unten gezogen. Das klingt logisch. Der Schwerpunkt sitzt unten und die Reibung ist dank der Ösenverbindung (Free-Rig) viel kleiner als bei der Patrone, durch deren kompletten Körper die Schnur läuft (T-Rig). Soweit – so gut. Nur: Ist der Unterschied wirklich messbar? Auf YouTube habe ich mir dann viele Amis angeschaut, die alle recht euphorisch waren. Den Beweis mit Unterwasseraufnahmen hat aber niemand erbracht. Es war aslso gut möglich, dass sich die ganzen Angel-Youtuber einfach auf ein neues Thema stürzen, um in der ersten Phase der Entdeckung Klicks einzuheimsen. Allerdings habe ich auch ein paar Clips deutscher YouTuber gesehen, die damit ganz gut Barsch gefangen haben. Und zwar nicht an irgendwelchen Bäumen, sondern über freiem Feld. Insofern hat die erste Recherche immerhin schon mal zum Dranbleiben inspiriert. Zumal eine Ähnlichkeit zum Jika-Rig ja auch gegeben ist und das war damals unter „Hänger-Anglern“ ein heißes Eisen.
Die ersten Gehversuche mit dem Free-Rig
Und so habe ich mir ein bisschen Material gekauft, um meinen ersten Versuch quasi live vor der Kamera zu starten. Als Barsch-Alarm-Folge vom Ufer. Da ich wirklich komplett ahnungslos war, habe ich am Morgen des Drehtags noch eine Umfrage auf Instagram und Facebook gestartet und meine Community zu Führungstechniken, Perlen und Topködern befragt. Die Kurzzusammenfassung: Man kann es lupfen und sinken lassen oder schleifen. Es geht mit und ohne Perle. Die besten Köder sind Krebse und No-Action-Shads. Ich entschied mich für Krebse, installierte eine Perle und zupfte das System mit einigermaßen heftigen und nach oben ausgeführten Zupfern über den Grund, um nach jedem Zupfer eine Pause einzulegen, in der der frei schwebende Köder zum Grund sinkt, nachdem das Stabblei schon unten angekommen war. Bingo! Ich fing gute Fische und auch recht viele. Die Folge war ein voller Erfolg (inzwischen über 110.000 Klicks).
So muss es sein, wenn ich was Neues teste. Denn dann werden Denkprozesse getriggert. Am Abend dieses Tages hatte ich ein paar Verfeinerungsideen. Und am nächsten Morgen stand ich dann wieder am Havelufer, um mich beim Versuch mit einer Finesse-Version (kleinerer Köder, filigranerer Haken, leichteres Blei, dünnere Schnur) zu filmen. Nächstes Bingo! Das lief noch viel besser (knapp 70.000 Klicks).
Damit war das Rig bei mir etabliert und eine breite Öffentlichkeit generiert. Offensichtlich konnten sich viele Angler vorstellen, dass da was dran ist. Noch offensichtlicher hatte es einen Impact auf die Barsche. Und ich habe ja immer Spaß dran, Dinge weiterzuentwickeln. Insofern wurde das Free-Rig aufgenommen ins dietelsche Finesse-Repertoire und ganz viel experimentiert in den letzten Jahren.
Umdeutung: Vertikal, diagonal, ganz egal!
Die nächsten Experimente betrafen die Führung. Man sollte es angeblich ja auch gut schleifen können. Eine Nummer, mit der ich extrem viele Texas- und Carolina-Barsche gefangen habe. Nur gibt es einen riesigen Unterschied: Während man das Bullet Weight mit der innenliegenden Schnurführung mit der Spitze voraus über den Grund zieht, richtet sich der Stab auf Zug etwas auf. Das bedeutet, dass sich das Bullet wie ein Dartpfeil in Steinritzen manövriert, sich der aufgerichtete Stab nicht so leicht festsetzt. Über losem Steingrund würde ich das Hängerrisiko Texas zu Free-Rig auf 3:1 beziffern. Ganz ähnlich also wie beim Jika-Rig, wo der Stab mittels Sprengring mit dem Haken verbunden ist. Vorteil Free-Rig: Beim Biss kann der Fisch Schnur nehmen, ohne das Gewicht mitziehen zu müssen. Die Fische spüren noch weniger als beim Texas- oder Carolina-Rig, weil die Reibung (Schnur durch Öse) deutlich geringer ausfällt (als Schnur durch Bullet). Und so wurde immer mehr gezogen und viel weniger gezupft. Damit war das Rig für mich nach ein paar Einsätzen komplett umgedeutet. Vertikale Strukturen waren mir Schnuppe. Jetzt ging es an die Füße von Steinpackungen, Fahrrinnenkanten, Muschel-, Sand- und Kiesbänke, auf Plateaus und Landzungen.
Vollkommene Köderfreiheit?!
Ich habe gefangen und gefangen. Anfangs nur mit Krebsen. Als ich dann das erste Foto mit Free-Rig und einer Larve auf Insta eingestellt habe, gab’s Proteste aus der Japan-Hardliner-Fraktion. Free-Rig wird mit Krebs geangelt. Hä? Den Barsch auf dem Bild habt ihr aber schon gesehen? Man muss sich freimachen von Dogmen. Inzwischen habe ich auf alle möglichen Gummiformen Free-Rig-Fische gefangen. Nach den Krebsen und Larven waren No-Action Shads, Schaufelschwanzgummis, Würmer und so weiter an der Reihe und ich finde, dass sich für jede Form Idealeinsatzzwecke finden. Das ist aber was für einen eigenständigen Artikel. In meinem Free-Rig-Köder-Ranking ist der Krebs immer noch ganz vorn. Auf Platz zwei liegt inzwischen klar die Larve – aller ehemaligen Free-Rig-Experten-Regeln zum Trotz. Wurm läuft auch super. No-Action-Shads nehme ich auf Barsch am seltensten (auf Buhnen-Zander häufiger). Mit Schaufelschwanzgummis kann man schön in der Strömung freeriggen und auch gut mit Absinkphasen experimentieren.
Warum das Free-Rig auch optisch reizen könnte
Auch wenn der Fangerfolg das Rig über alle Zweifel erhaben sein lässt, fragt man sich immer, was die Fische darin sehen. Warum zur Hölle nehmen sie an manchen Tagen selbst dann ein Free-Rig lieber als ein Texas-Rig, wenn das T-Rig aufgrund der optischen Kompaktheit eigentlich überlegen sein sollte? Was die Barsche darin sehen, kann nicht mal ich mit absoluter Sicherheit postulieren. Ich denke mich seit gut 20 Jahren beruflich ins Barschgehirn und habe immerhin eine plausible Erklärung. Ich denke, dass der hinter dem länglichen Free-Rig-Weight herlaufende Krebs, Wurm, Larverich oder Kleinfisch die Barsche an eine kleine Verfolgungsjagd erinnert, die den Futterneid noch mehr anregt als beim Texas-Rig. Weil der Stab eher einem kleinen Fischchen ähnelt, als dass das Bullet irgendwelche Assoziationen hervorruft.
Die Tungsten-Banane ist vorne!
Wo wir schon mal beim Free-Rig-„Blei“ sind. In Anführungszeichen deshalb, weil bei uns in Deutschland jedes zum Angeln eingesetzte Gewicht als „Blei“ bezeichnet wird. Und weil es ja was viel besseres gibt als Blei. Tungsten ist kompakter und damit unauffälliger. Außerdem ist Tungsten härter und leitet damit wertvolle Informationen über den Untergrund zuverlässiger über Schnur und Rute an uns weiter als andere „Blei“-Materialien. Als es für uns im Hause Zeck an die Entwicklung von Barsch-Alarm Free-Rig Weights ging, war klar: Wir setzen auf Tungsten. Und auf eine etwas andere Form. Unsere Free-Rig-Banane hat zwei entscheidende Vorteile und einen Zusatz-Benefit. Vorteil 1: Das Gewicht sieht im Vergleich zu einem geometrisch perfekten Stab organischer aus. Im Wasser kommen einfach nur sehr selten kerzengerade Dinge vor. Weder Steine, Hölzer noch Lebewesen kommen ohne Krümmung daher. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fisch aufgrund der Montage Verdacht schöpft, schon einmal minimiert. Zweitens vergrößern wir durch die Krümmung die Auflagefläche beim Ziehen, so dass mehr Bodenabtastinformationen übermittelt werden können. Der Benefit ist, dass das gekrümmte Weight den Köder solange ein bisschen taumeln lässt, bis das Gewicht nach dem Anzupfen wieder am Grund liegt. Das kann man sich am besten zunutze machen, indem man leichte Weights nimmt und diese ziemlich ruckhaft nach oben zupft. Aber nur, wenn man ca. 20 cm über dem Weight einen Stopper aufs Vorfach zieht, der Zug vom Blei auf den Köder ermöglicht.
Sound-Option: Doppelt geperlt fängt besser!
Sobald man bei Texas-Rig eine harte Perle zwischen Bullet und Haken einbaut, erzeugt man mit jedem Zupfer ein Geräusch und hat so die Möglichkeit, die Fische auf den Köder aufmerksam zu machen bzw. eine gewisse Wut auf den kleinen Nervzwerg da unten zu erzeugen. Das Free-Rig hingegen bleibt selbst mit der härtesten Perle der Welt stumm. Öse gegen Perle klickt einfach nicht. Perle gegen Perle aber schon. Und so habe ich eine Doppel-Klicker-Varaiante getestet, die meine Fangergebnisse nochmal verbessert hat – vor allem in trübem Wasser, zwischen Steinen und am Kraut.
Führungsoptionen von aggro bis subtil
Köderführungsvarianten kamen ja nun einige zur Sprache. Mein Standardansatz ist, das Free-Rig zweimal kurz anzuzupfen (Rutenbewegung zur Seite) und dann zu ziehen. Man kann aber auch kräftig nach oben zupfen und dann recht lange warten bis zum nächsten Zufper. Oder aber in die schlaffe Schnur rucken, (Rutenbewegung nach oben), wodurch das Blei mehr oder weniger auf der Stelle tanzt.
Stahl ist eine Option!
Nun gibt’s ja in vielen Gewässern diesen das Finesseangeln einschränkenden Fisch mit dem Entenschnabel und den Zähnen. Ganz klare Sache: Auch beim Free-Riggen kommt man nicht um gelegentliche Hechtattacken herum. Zwar rutscht der Offsethaken eigentlich fast immer bis in den Maulwinkel. Aber eben nicht immer und selbst wenn er es tut, kann er im Verlauf des Drills über die Schnur fassen und die Verbindung zur Rute kappen. Die gute Nachricht: Freeriggen kann man auch mit Stahl. Weiches 7×7 Stahlgeflecht kringelt zwar nach ein paar Stunden angeln, streckt sich aber immer wieder und fängt gut. Titan ist steifer und deshalb in diesem Punkt dem 49fädigem Stahl unterlegen. Dafür kringelt es nicht und kann lange geangelt werden. Die Vorfächer binde ich mir im Vorfeld selber und packe sie in eine Vorfachtasche. Das spart Zeit und Nerven an Bord – zumal ich das Rig mit einem Micro-Ring mit dem Vorfach verbinde. Wenn der runterfällt im Boot, findet man ihn nur schwer wieder.
Ich glaube, dass das reichen sollte, den Appetit auf eine Free-Rig-Runde anzuregen. Das wäre auf jeden Fall gut. Denn für mich steht fest: Dieses Rig gehört genauso ins repertoire einen guten Barschanglers wie Texas, Carolina oder Dropshot. Und das will ja was heißen…